Die Herausforderung war gewaltig – der teilweise Nachbau der ersten in Deutschland gebauten Kompressor-Rennmaschine von unserer Firma „VICTORIA“… Wenn es außer ein paar Bilder nichts mehr gibt, hat man nur noch den Kompromiss eines Nachbaus von historischen Kulturgut… Darin besteht auch die Legitimität dieses zu tun, außerhalb von Kommerz, weil dies wohl einmalig ist… Allen Unkenrufen zu trotz, welche es auch heute noch gibt, muss man seiner Liebe treu bleiben und Sache wegen einfach dran bleiben… Aber seht selbst:
Gert Reiher, im Sommer 2017,
Vor 10 Jahren reifte bei mir die Idee, man könnte eigentlich die Brudes-Kompressor-Rennmaschine nach bauen. Ein Kompressor, welcher als Roots-Gebläse vorhanden war, ist schon mal sehr vorteilhaft. Diese Gebläse wurden in der Flugzeugindustrie verwendet.
Roots-Gebläse für Victoria-Kompressor-Maschine.
Nach genaueren Recherchen über Aufbau und Funktion des Motorrades, stand eine Hürde in Höhe, vergleichbar mit der Mount Everest – Besteigung bevor. Man ist ja nicht der Reinhold Messner. Ich meine damit die vergrößerte Ölwanne, welche sich an der Unterseite des K.R.III. Motors befand, welcher die Basis für das Rennmotorrad ist. Keine mehr da, um Maße abzunehmen oder gar nach zu gießen. Meines Wissens ist nichts mehr vorhanden, geschweige, ein ganzer Motor. Aber der Messner hat auch seinen Berg bestiegen und man sollte nicht so schnell den Kopf in den Sand stecken. Da viel mir mein Freund Matthias ein, der arbeitet doch als Konstrukteur gleich in der Nähe in einem Metallbaufachbetrieb. Dort werden auch Teile für die Flugzeug- und Windkraftindustrie gefertigt. Gesagt, getan und schon ging es los. Mit Motorteilen bewaffnet, alle Bilder und Vorlagen geschnappt, waren die nächsten Sonntage verplant. Ohne die Fachkenntnis eines Spezialisten ist für den normalen Oldie-Restaurator die Welt zu Ende. Ich muss aber noch den Zeitfaktor in Ansatz bringen, welche erheblich ist. Wir haben, bis die fertige Form stand, bestehend aus 10 Einzelteilen, so ca. 3 Jahre gebraucht.
Gussformen für Ölwanne…
Eine Anfertigung in einer Fachfirma , hätte den finanziellen Rahmen gesprengt, somit wäre das Projekt gestorben. Das Gussteil war dann eher ein Klacks gegen die Vorarbeit und auch relativ kostengünstig.
Gussteil-Ölwanne, unbearbeitet.
Das Gussteil war jetzt da, aber es musste ja mit dem originalen Oberteil des K.R.III. Motors zusammengefügt, also bearbeitet werden. Ich als Klempner/Heizungsmonteur als Grundberuf konnte vielleicht den Tank bauen, oder Rohre biegen, aber diese mechanische Bearbeitung, da musste wieder ein Spezialist ran. Wie schon gesagt, wenn man selber restauriert, über Jahre hinweg, hat man Freunde, die einen auch über die kleineren Berge helfen. Zum Glück hatte ich noch viele Teile aus meiner voran gegangenen Restauration einer K.R.III. Serienmaschine. Das erleichtert das Vorhaben wesentlich. Trotzdem, das Herstellen der Kurbelwellen-Lagergasse, das Verlängern des Ölpumpenantriebs, Bohrungen und Ausfräsungen für wichtige Teile, wie Zylinderaufnahme, Stehbolzen usw. erfordern Geduld und Fachkenntnis. Über einige Rückschläge bei der Bearbeitung, die ja zwangsläufig auftreten möchte ich mich lieber nicht mehr erinnern. Der Motor war bis auf die Zylinderköpfe nun soweit fertig und es waren wieder 2 Jahre ins Land gegangen.
Victoria Motor mit Ölwanne, bearbeitet.
Nachdem der Motor bis auf die Zylinder und deren Köpfe im wesentlichen fertig war, begann die Anfertigung des Fahrgestells, was den technologischen Fortschritt des Motorrades beförderte. Zum Glück hatte ich auch noch eine originale Vordergabel des Modells K.R.III., welche ja auch im Original Motorrad verbaut war.
Victoria K.R.III.-Vordergabel.
Die Reifen und Felgen, abweichend Vom Serienmodell (27×3,5 Zoll), hatte ich auf Teilemärkten zusammen getragen. Am Renner waren original 28×3 Zoll Reifen verbaut. Das Getriebe war die vorletzte große Herausforderung an der Maschine. Im Gegensatz zum Serienmodell war die Schaltung auf der rechten Seite. Ohne die Kopie eines Originalbildes, welches verschollen ist, wäre die Rekonstruktion schwierig geworden.
Victoria Renner, rechte Seite.
An dieser Stelle sei gesagt, dass das gesamte Motorrad nur nach wenigen vorhanden originalen Bildern, nachgebaut wurde. Um so erstaunlicher ist es, dass sich die Abmaße nach den einzelnen Komponenten ergeben, und sich dann just das fertige Motorrad präsentiert. Die gesamte Kupplung und deren Trennung zur Schaltung befindet sich rechts und hat auch keine Trennung über ein Schneckengewinde, wie bereits standardmäßig, wo sie auf der linken Seite ist. Die Zylinderköpfe waren noch ein Relikt aus der Ära Victoria K.R.II., welche die erste kopfgesteuerte Maschine bei Victoria war.
Getriebe, einbaufertig.
Aber nun zur nächsten und letzten großen Hürde, welche zu erklimmen war. K.R.II.-Zylinderköpfe, woher nehmen ? Von der K.R.III. hätte ich noch einige gehabt, aber es sollte ja auch dem Original sehr nahe kommen. Der Kommissar „Zufall“ kam zum richtigen Zeitpunkt, man könnte meinen der Himmel hat mir geholfen, er ist ja nicht weit entfernt von Messmers Mount Everest. Ich war bei Freunden, die mir einen K.R.II. Motor zeigten, den ein Unwissender arglos aus dem Fenster warf, weil er zu bequem war, ihn die Treppe hinunter zu tragen. Der vordere Zylinderkopf war nach dem Aufprall nicht mehr zu retten. Aber ich hatte schon mal den rückwärtigen zur Verfügung. Im Abstand von 3 Tagen rief mich wiederum ein Freund an, er kenne jemand, der Victoria Teile abgeben will. Ich fuhr hin, ganz in der Nähe (15 km). Der Sechser im Lotto ist ja auch selten, aber der K.R.II. Zylinderkopf, natürlich der vordere, lag bei den Teilen. Man glaubt es kaum glauben, aber es ist wahr. Ich hatte beide Köpfe zum nachgießen bekommen und der in die Tiefe gefallene K.R.II. Motor bekam seinen vorderen Zylinderkopf, jeder war glücklich und zufrieden. Der Nachguss der Zylinderköpfe aus Bronze mit einer Sandform erforderte keinen allzu großen Aufwand, die nachfolgende dieser erwies sich dagegen, als nächste große Herausforderung. Im Vergleich zum Motorgehäuse war der Arbeitsaufwand noch höher und vor allem schwieriger. Um den richtigen, maschinellen Auflagepunkt der Zylinderköpfe zu ermitteln, in Bezug auf die Komponenten – Stehbolzen, Stößelstangen usw. welche exakt zum Motorengehäuse passen müssen, ist höchste Konzentration erforderlich. Ein weiterer schwieriger Part war die Ausarbeitung der Ansaugkanäle- bzw. Auslasskanäle. Einige Fräser waren am Ende nur noch Schrott, nicht zu reden von Staubmasken und nicht wieder bring- bare menschliche Nerven besonders, wenn man durch geschliffen hat. Aber am Ende war alles wieder gut.
Zylinderköpfe – Sandguss.
Zylinderköpfe, bearbeitet.
Nachdem alle Komponenten, sprich Motor, Getriebe, Kompressor, Fahrgestell, Vordergabel, Räder und so weiter komplett waren, konnte die Maschine im Rohzustand zusammen gebaut werden.
Victoria-Kompressor-Maschine im Rohzustand.
Im Rohzustand wurden wurde das Motorrad erstmals getestet. Mit einer Startmaschine begann der erste Start mit einem gewaltigen Grummeln im Bauch. Man glaubt es kaum, aber der Motor sprang nach einem ordentlichen Tippen am Vergaser, sofort an. Manche Betrachter hielten sich die Ohren zu, um dem infernalischen Gebrüll des Motors zu entgehen. Anschließend gab es von den Beteiligten tosenden Beifall für das Gelingen. Der Drehzahlmesser zeigte im Halbgas sofort 3500 U/min an, bei 1 bar Überladung. Im Endzustand dreht der Motor bis zu 6000 U/min bei 1,2 bar.
Nach der Erprobung, verbunden mit Einstell-Arbeiten, wurde das Motorrad wieder komplett zerlegt, um die Lackierung und Galvanik vorzunehmen. Alles kostet Zeit, aber zum Schluss kurz vorm Endziel macht der Zusammenbau wirklich Spaß und die ganzen Unwegbarkeiten sind weit entfernt. Ich entschloss mich das Motorrad im Stil der alten Zeit herzustellen, das bedeutet in Altlackierung und Alchemie zurück zu fallen, weg von den feinen Lackierungen und Glanz am Metall. Zum 29. Victoria – Treffen 2017 in Rottersdorf in Bayern, stellte ich das Victoria-Kompressor-Motorrad, Baujahr 1925 als Nachbau, nach 10 Jahren Bauzeit offiziell vor.
Bericht Oldtimer-Markt Nr. 1/2017:
Die erste Straßenfahrt Weißensand – Hartmannsgrün:
Im nächsten Beitrag erinnere ich nochmal an die Victoria-Rennmaschinen, die bis zum Jahr 1926 gebaut und gefahren wurden…
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